Jedes Kind darf in jede Schule gehen

Und kein Kind mit Beeinträchtigung darf von der Schule in seiner Gemeinde abgewiesen werden. Das ist der Grundsatz, mit dem seit über 35 Jahren in Italien und in Südtirol in Inklusion an den Schulen umgesetzt wird. 1977 wurde auf Staatsebene in einem Gesetz geregelt, dass die Sonderschulen abgeschafft werden. Die Sonderschullehrerin und Sonderschullehrer waren seitdem in den regulären Schulen im Einsatz. Am dritten Tag der Inklusionstour Südtirol konnten wir uns in der Grund- und in der Mittelschule von Neumarkt einen Eindruck machen, wie die Einbeziehung von Kinder mit Beeinträchtigungen funktioniert.

Um 9:30 Uhr beginnt der Geographieunterricht in der Klasse 1C der Mittelschule Neumarkt. Nach der fünfjährigen Grundschule ist das die erste Klasse der gemeinsamen Mittelschule in Italien und Südtirol. Heute geht es um Italien, welches sind die Anrainerstaaten und wie heißen die Meere um das Land. Der Fachlehrer erläutert die Aufgaben. Die Schülerinnen und Schüler nehmen sich ihre Aufgabenhefte und lösen in Zweiergruppen die Aufgaben. Die Integrationslehrerin, die acht Stunden in der Woche in der Klasse ist, hilft das währenddessen einzelnen Schülerinnen und Schüler. In der Mitte der Stunde kommt ein Schüler von der Logopädie aus Bozen. Eine Mitschülerin setzt sich zu ihm und erklärt ihm die aktuelle Aufgabe. Eine Integrationsassistentin unterstützt bei der Lösung seiner für ihn angepassten Aufgaben. Es ist ein sehr ruhiges und konzentriertes Arbeiten im Klassenraum. Ab und zu gehen Schülerinnen und Schüler an die große Karte und zeigen Meeresbuchten und Alpenpässe. Zum Abschluss der Stunde gibt es die Diskussionen um Hausaufgaben über die Ferien, die mir aus meiner eigenen Schulzeit sehr bekannt vorkommen.

Ich war sehr beeindruckt, wie Unterricht abläuft, bei dem alle Schülerinnen und Schülern mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten einbezogen sind.

Im Anschluss an die Unterrichtsbesuche trafen sich alle aus der rheinland-pfälzischen Delegation, um ihre Eindrücke mit den beiden Schulleiterinnen Frau Dr. Dorfmann und Frau Dr. Niederkofler zu diskutieren.

Inklusion in den Schulen von Südtirol und Italien ist mittlerweile gesellschaftlich selbstverständlich und akzeptiert. Diskussionen, ob die „nichtbehinderten“ Kinder zu kurz kommen gab es bis vor 20 Jahren. Die Praxis hat gezeigt, dass alle von dem gemeinsamen Unterricht profitieren.

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Gesprächsrunde in der Schule in Neumarkt

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Der Eingang zur Mittelschule von Neumarkt

Im Landesschulamt in Bozen erkläre uns jedoch darauf Dr. Veronika Pfeiffer, wie die gesellschaftliche Öffnung in den siebziger Jahren in Italien zu der gesetzlichen Abschaffung der Sonderschulen führte. Mittlerweile ist das inklusive Schulsystem in Italien etabliert und mit jahrzehntelanger Erfahrung umgesetzt. Die Ausstattung der Ressourcen in Personal von Integrationslehrerinnen und -lehrern entspricht in etwa den rheinland-pfälzischen Schwerpunktschulen im Grundschulbereich. Auch wenn in manchen Diskussionen Sonderschulen gefordert werden, entscheiden sich nach Umfragen die übergroße Mehrheit der Eltern von Kinder mit Behinderungen für die inklusive Schule.

Mein Fazit dieses Schulbesuchstags in Südtirol ist, dass wir im Vergleich etwa 20 Jahre auf dem Weg zur flächendeckenden Inklusion hinterher sind. Allerdings haben wir in Rheinland-Pfalz schon beispielhafte inklusive Schule aufgebaut und ein gutes Netz an Schwerpunktschulen eingerichtet. Auch unser starker Ausbau von Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz ist ein wichtiger Unterschied zu Südtirol. Den Weg zu inklusiven Schulen müssen wir konsequent weiter führen, sie nutzen uns allen.

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Dr. Veronika Pfeifer von der Fachstelle für Inklusion und Gesundheitsförderung