Selbstvertretung in Südtirol

Der letzte Tag unserer Südtirol Inklusions-Tour war geprägt von der Begegnung mit der Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen und beeindruckendem Naturerleben in den malerischen Bergen.

Auf dem Weg zum Karersee begleiten uns Karin Pfeifer, Robert Murmelter und ihr Unterstützer Johannes Knapp von People First, der Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Südtirol. Sie berichteten von ihren Seminaren zur letzten Landeswahl, um Menschen mit Lernschwierigkeiten das Wahlsystem näher zu bringen. Das ist eine wichtige Ergänzung zur ihrer Broschüre in leichter Sprache zu den Wahlen. Für die nächste Landtagswahl in Rheinland-Pfalz ist das ein guter Ansatz, den wir übernehmen sollten.

Am Karersee mit barrierefreien Zugang zur Aussichtsplattform genoss die ganze Gruppe den Ausblick auf den Bergsee und die schneebedeckten Berge.

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People First Südtirol am Karersee

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Panoramabild vom See und Bergen

Von Bozen aus ging es dann mit der Seilbahn auf den Rittner. Begleitet wurden wir von Vertretern des Blindenverbands in Südtirol und von der Sozialgenossenschaft Independent. Beim gemeinsam Mittagessen gab es einen intensiven Erfahrungsaustausch zwischen der Selbstvertretung von Rheinland-Pfalz und Südtirol.

Mein persönliches Highlight war dann die Fahrt mit der Rittner-Bahn. Der kürzlich angeschaffte Hublift ermöglicht es auch für mich als Rollstuhlnutzer die wunderschöne Bahnstrecke zu nutzen. Hier ein paar Eindrücke von der Bahnfahrt.

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Die Seilbahn von Bozen war auch eines der Projekte, bei denen der Blindenverband beraten hat. Hier ein Bild vom Eingangsbereich mit Leitsystem für blinde und sehbehinderte Menschen.

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Abschied von Südtirol

Südtirol ist eine Inklusionsreise wert. Wir haben mit ganzen Gruppe hervorragende Eindrücke bekommen, wie ein Inklusives Schulsystem gelingen kann. Auch wie barrierefreier Tourismus umgesetzt und eine gute Selbstvertretung organisiert, werden sind bleibende Eindrücke.

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Abschiedsbild von der Inklusionstour

Jedes Kind darf in jede Schule gehen

Und kein Kind mit Beeinträchtigung darf von der Schule in seiner Gemeinde abgewiesen werden. Das ist der Grundsatz, mit dem seit über 35 Jahren in Italien und in Südtirol in Inklusion an den Schulen umgesetzt wird. 1977 wurde auf Staatsebene in einem Gesetz geregelt, dass die Sonderschulen abgeschafft werden. Die Sonderschullehrerin und Sonderschullehrer waren seitdem in den regulären Schulen im Einsatz. Am dritten Tag der Inklusionstour Südtirol konnten wir uns in der Grund- und in der Mittelschule von Neumarkt einen Eindruck machen, wie die Einbeziehung von Kinder mit Beeinträchtigungen funktioniert.

Um 9:30 Uhr beginnt der Geographieunterricht in der Klasse 1C der Mittelschule Neumarkt. Nach der fünfjährigen Grundschule ist das die erste Klasse der gemeinsamen Mittelschule in Italien und Südtirol. Heute geht es um Italien, welches sind die Anrainerstaaten und wie heißen die Meere um das Land. Der Fachlehrer erläutert die Aufgaben. Die Schülerinnen und Schüler nehmen sich ihre Aufgabenhefte und lösen in Zweiergruppen die Aufgaben. Die Integrationslehrerin, die acht Stunden in der Woche in der Klasse ist, hilft das währenddessen einzelnen Schülerinnen und Schüler. In der Mitte der Stunde kommt ein Schüler von der Logopädie aus Bozen. Eine Mitschülerin setzt sich zu ihm und erklärt ihm die aktuelle Aufgabe. Eine Integrationsassistentin unterstützt bei der Lösung seiner für ihn angepassten Aufgaben. Es ist ein sehr ruhiges und konzentriertes Arbeiten im Klassenraum. Ab und zu gehen Schülerinnen und Schüler an die große Karte und zeigen Meeresbuchten und Alpenpässe. Zum Abschluss der Stunde gibt es die Diskussionen um Hausaufgaben über die Ferien, die mir aus meiner eigenen Schulzeit sehr bekannt vorkommen.

Ich war sehr beeindruckt, wie Unterricht abläuft, bei dem alle Schülerinnen und Schülern mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten einbezogen sind.

Im Anschluss an die Unterrichtsbesuche trafen sich alle aus der rheinland-pfälzischen Delegation, um ihre Eindrücke mit den beiden Schulleiterinnen Frau Dr. Dorfmann und Frau Dr. Niederkofler zu diskutieren.

Inklusion in den Schulen von Südtirol und Italien ist mittlerweile gesellschaftlich selbstverständlich und akzeptiert. Diskussionen, ob die „nichtbehinderten“ Kinder zu kurz kommen gab es bis vor 20 Jahren. Die Praxis hat gezeigt, dass alle von dem gemeinsamen Unterricht profitieren.

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Gesprächsrunde in der Schule in Neumarkt

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Der Eingang zur Mittelschule von Neumarkt

Im Landesschulamt in Bozen erkläre uns jedoch darauf Dr. Veronika Pfeiffer, wie die gesellschaftliche Öffnung in den siebziger Jahren in Italien zu der gesetzlichen Abschaffung der Sonderschulen führte. Mittlerweile ist das inklusive Schulsystem in Italien etabliert und mit jahrzehntelanger Erfahrung umgesetzt. Die Ausstattung der Ressourcen in Personal von Integrationslehrerinnen und -lehrern entspricht in etwa den rheinland-pfälzischen Schwerpunktschulen im Grundschulbereich. Auch wenn in manchen Diskussionen Sonderschulen gefordert werden, entscheiden sich nach Umfragen die übergroße Mehrheit der Eltern von Kinder mit Behinderungen für die inklusive Schule.

Mein Fazit dieses Schulbesuchstags in Südtirol ist, dass wir im Vergleich etwa 20 Jahre auf dem Weg zur flächendeckenden Inklusion hinterher sind. Allerdings haben wir in Rheinland-Pfalz schon beispielhafte inklusive Schule aufgebaut und ein gutes Netz an Schwerpunktschulen eingerichtet. Auch unser starker Ausbau von Ganztagsschulen in Rheinland-Pfalz ist ein wichtiger Unterschied zu Südtirol. Den Weg zu inklusiven Schulen müssen wir konsequent weiter führen, sie nutzen uns allen.

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Dr. Veronika Pfeifer von der Fachstelle für Inklusion und Gesundheitsförderung

Südtirol auf dem Weg zu Inklusion und Barrierefreiheit

Bozen war die erste Station heute auf unserer Inklusionstour. Dort wurden wir von Landesrätin Dr. Martha Stocker herzlich empfangen. Sie berichtete uns über die beeindruckende Beteiligung der betroffenen Menschen bei der Weiterentwicklung ihres Landesgesetzes für Menschen mit Behinderungen.

Fünf Jahre Zeit haben die Gemeinden in Südtirol, um Barrieren an ihren Gebäuden zu beseitigen. Dazu wurde vom Amt für Menschen mit Behinderungen eine Checkliste entwickelt, mit denen die Techniker und Planer die Barrierefreiheit ihrer Gebäude einschätzen können. Alle 116 Gemeinden müssen einen Anpassungsplan an die Landesbehörde geben, so der Berichts des Teams das Amtes für Menschen mit Behinderungen von Dr. Ute Gebert und Dr. Loris de Benedetti.

Bei den Schulen ist Barrierefreiheit übrigens kein Thema mehr, sie ist bereits umgesetzt. 30 Jahre Inklusion haben hier schon gewirkt. Jedes Kind geht in seiner Gemeinde zur Schule. Das ist der Grundsatz, wie Kinder mit und ohne Behinderungen in Südtirol gemeinsam die Schule besuchen.

Auch in Südtirol gibt es ähnliche Instrumente, Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. In den letzten Jahren wurden vermehrt Sozialgenossenschaften mit 30 % behinderten Beschäftigten gegründet, die vergleichbar mit unseren Integrationsfirmen sind. Mit ausgelagerten Werkstattplätzen und langfristigen Praktika in regulären Betrieben soll der Übergang von der Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt gestärkt werden, so der Bericht von Dr. de Benedetti.

Landesrätin Dr. Stocker ist uns als Fan vom FC Kaiserslautern bekannt. Sie freute sich riesig über den FCK-Schal als Mitbringsel. Ben Steinfurth vom Team Barrierefrei des FSV Mainz 05 ließ es sich nicht nehmen, einen Schal vom Rheinland-pfälzischen Erstligisten zu ergänzen.

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Landesrätin Dr. Stocker bei der Staffelstabübergabe und mit FCK Schal

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Die rheinland-pfälzische Delegation im Landhaus in Bozen

Weiter nach Meran zu den Gärten von Schloß Trautmannsdorff

Bei herrlichem Wetter und Blick auf die Alpen ging es weiter nach Meran. In Schloss Trautmannsdorff empfing uns Günter Ennemoser von der Sozialgenossenschaft Independent. Seit zehn Jahren führt Independent Erhebungen zu barrierefreien Tourismus in Südtirol durch. Ergebnis ist die informative Webseite Südtirol für alle.

Zur Aufgabe von Independent gehört auch die Erhebung von Barrieren in den Gemeinden Südtirols. Allein in Bozen wurden 600 Barrieren dokumentiert und 10 % davon direkt von der Kommune ausgeschrieben und beseitigt.

Die Gärten von Schloss Trautmannsdorff war blühendes Highlight des Tages. Schloß Trautmannsdorff ist durch mehrere Glasaufzüge barrierefrei erschlossen. Ein gutes Beispiel wie Denkmalschutz und Barrierefreiheit verbunden werden kann.

Heute hätte Kaiserin Sissi auch im Alter einen angenehmen Urlaub im Schloss verbringen können. Hier noch ein paar Eindrücke von den blühenden Gärten:

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Glasaufzug in Schloss Trautmannsdorff

Inklusionstour nach Südtirol gestartet

Der Weg über die Alpen liegt hinter uns. Mit einer Delegation von 35 Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern sind wir in Kaltern in Südtirol angekommen. Wir hatten eine angenehme Fahrt im rollstuhlgerechten Reisebus. Blauer Himmel und schneebedeckte Gipfel waren unser Panorama für unterwegs. Angekommen sind wir in der Apfelblüte in Südtirol.

Für die nächsten drei Tage haben wir ein interessantes Programm vor uns. Morgen werden wir die Landesrätin Dr. Martha Stocker treffen und erfahren, wie in Südtirol die UN Behindertenrechtskonvention umgesetzt wird, wie die Teilhabe für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben unterstützt wird und wie architektonische Barrieren beseitigt werden. In den Gärten von Schloss Trautmannsdorff wird uns Günter Ennemoser von der Organisation Independent die Angebote für barrierefreien Tourismus erläutern.

Am Dienstag werden wir inklusiv arbeitende Schulen in Neumarkt besuchen. Dabei können wir direkt beim Unterricht dabei sein. Italien und Südtirol haben bereits vor 30 Jahren die Förderschulen abgeschafft. Mein Wunsch ist, dass wir hier einen Eindruck bekommen können, wie schulische Inklusion umfassend in der Praxis umgesetzt wird. Der Mittwoch wird ganz im Zeichen des Erfahrungsaustauschs mit den Selbstvertretungsverbänden sein.

Ich freue mich, dass wir eine gut gemischte Gruppe aus Mitgliedern des Landesteilhabeirats, der Werkstatträte und Bewohnervertretungen, aus den kommunalen Behindertenbeiräten und -beauftragten sowie aus den Ministerien zusammen haben. Neue Erfahrungen machen, Kontakte knüpfen und Motivation für die Arbeit zu Hause in Rheinland-Pfalz bekommen sind Erwartungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Reise.

Wie die Wünsche erfüllt werden werde ich in den nächsten Tagen berichten.

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Foto von der Delegation der Inklusionstour unterwegs nach Südtirol