Mit der Regionalbahn durch Rheinhessen und die Pfalz, sieben Mal umsteigen. Das kann mit dem Rollstuhl ein echtes Abenteuer sein. Das wollte ich gerne testen, zusammen mit den kommunalen Behindertenbeauftragten und Beiräten vor Ort. Anlass sind die neuen Fahrzeuge im Dieselnetz Südwest, die seit Dezember 2015 in Rheinhessen und der Pfalz den Rheinland-Pfalz-Takt 2015 ergänzen.
Los geht es Morgens, kurz vor acht Uhr am Mainzer Bahnhof. Die Aufzüge sind zum Glück wieder repariert. Ohne Voranmeldung und ohne Stufe geht es in den Süwex nach Bingen. Ich liebe die Freiheit des barrierefreien Fahrens mit dem neuen Regionalexpress Süwex. Sich keine Gedanken um Einstiegshilfen zu machen ist fast Luxus, aber eigentlich ist es nur gleichberechtigte Mobilität – und bequem für Alle.
Der Bahnsteig in Bingen Hauptbahnhof ist etwas niedriger als in Mainz. Dafür wird die Rampe ausgelegt, die in jedem Zug vorhanden ist. Bei der Fahrkartenkontrolle habe ich nach der Rampe gefragt, das Zugpersonal legt sie bei der Ankunft aus. In Bingen werde ich von Dieter Moritz und Gerhard Hemicker vom Behindertenbeirat Bingen empfangen. Sie zeigen mir, was noch zu tun ist und für was sich der Beirat engagiert. Die Bahnsteige sind zu niedrig und müssten erneuert werden. Die Stadt wurde aufmerksam gemacht, die Stufenmarkierung zur Überführung zu verbessern. Das Blindenleitsystem endet unvermittelt am Übergang zum Bahnhof. Und die Behindertentoilette war zwei Jahre wegen Vandalismus geschlossen, jetzt ist das Rollstuhlsymbol entfernt und gar keine Toilette mehr ausgewiesen. Es gibt also gut etwas zu tun, das Engagement des Beirats wird weiter gebraucht.
Zu Fuß und per Rad geht es zum Binger Stadtbahnhof. Dort treffen wir Gracia Schade, Behindertenbeauftragte des Landkreis Mainz-Bingen. Es schneit ein wenig, höchste Zeit in dem geheizten Zug einzusteigen. Die neuen Fahrzeuge vom Typ Coradia Lint sind auf dem extra für die Regionalbahnverbindung nach Worms ausgebauten Bahnsteig bequem auch mit dem Elektrorollstuhl zu befahren. Das macht den Einstieg auch für Gracia Schade als SPNV-Neuling leicht.
Wie bei den baugleichen vlexx-Fahrzeugen ist bei der Innenausstattung auf kontrastreiche Gestaltung geachtet. Ein Display mit großer Schrift gibt aktuelle Informationen über Fahrtverlauf und Pünktlichkeit. Die Toilette ist großzügig gestaltet. Vor den Ausschreibungen zum Rheinland-Pfalz-Takt haben eine Expertinnen- und Expertengruppe des Landesteilhabebeirats und des Zweckverbands Schienenpersonennahverkehr die Anforderungen zur Barrierefreiheit besprochen. Das zahlt sich jetzt aus, besonders weil die Ausschreibungen eine Laufzeit von mehr als 20 Jahren haben.
Auf der weiteren Strecke wird es spannend. Welche Stationen sind schon barrierefrei ausgebaut? Gensingen-Horweiler ist provisorisch ausgebaut und nicht wirklich barrierefrei. Bei der Haltestation Welgesheim-Zotzenheim geht die Wiese bis zur Bahnsteigkante. Aber ab dann sind wir durchgehend im grünen Bereich. Sprendlingen, Wallertheim, Alzey – alle folgenden Stationen sind barrierefrei ausgebaut. Bis Monsheim. Hier fehlt der Aufzug, um vom Mittelbahnsteig weg zu kommen. Das ist ein echter Mangel, weil hier auch die Linie nach Eisenberg und Ramsen abgehen. Wir steigen um in die Regionalbahn nach Grünstadt. Das geht, weil wir auf dem Mittelbahnsteig bleiben. Jetzt beginnt die Zeit der häufigen Umstiege, weil es noch keinen durchgehenden Zug Richtung Neustadt an der Weinstraße gibt.
Beim Umstieg in Grünstadt treffen wir Ute Brunner, Verkehrsexpertin des Landkreises Bad Dürkheim und Regina Schmitt, die für den barrierefreien Tourismus im Landkreis zuständig ist. Der Landkreis Bad Dürkheim ist eine der zehn Modellregionen für barrierefreien Tourismus in Rheinland-Pfalz. Informationen zur Mobilität gehören dazu, ein gemeinsames Portal zu den touristischen Angeboten und Bahn und Bus ist Ziel.
Und in Grünstadt treffen wir auf eine böse Überraschung. Der Aufzug an unserem Bahnsteig ist defekt und wird gerade repariert. So kommen wir nicht auf den Bahnsteig, wo unsere Regionalbahn nach Freinsheim abfährt. Die Lösung ist, dass der Zug auf unser Gleis umgeleitet wird. Auch wenn es ein Zug später ist, eine halbe Stunde später kommen wir weiter. Hilfreich für solche Situation ist ein Anruf bei der 3S-Zentrale, sie kennt sich vor Ort aus, welche Verbindungen und Bahnstationen genutzt werden können.
Der Gleiswechsel wird nicht nur angesagt. Auch auf der Anzeige wird er angegeben. Damit ist die Information auch für hörbehinderte Menschen sicher gestellt – ganz nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip“ der Barrierefreiheit.
Beim Umstieg in Freinsheim wartet schon Werner Schreiner auf uns.
Der ehemalige Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Neckar und jetzige Landesbeauftragte für grenzüberschreitende Zusammenarbeit begleitet uns bis nach Neustadt. Als erfahrener Verkehrsexperte kennt Schreiner jede Schiene und jede Haltestelle in der Region. Er berichtet, wie von Anfang an im Zweckverband SPNV Rheinland-Pfalz Süd auf den barrierefreien Ausbau der Bahnstationen geachtet werden. Mittlerweile sind schätzungsweise 85 Prozent der Bahnstationen im Süden von Rheinland-Pfalz barrierefrei ausgebaut und fast flächendeckend mit modernen barrierefreien Fahrzeugen ausgestattet.
Mittlerweile ist Gracia Schade auf der Rückfahrt nach Bingen in Monsheim hängen geblieben. Sie kommt nicht auf Gleis 1, um den Anschlusszug zu bekommen. Hier fehlen die Aufzüge am Bahnhof. Per Handy wird die Route über Worms und Mainz als Lösung ausgemacht. Eine kleine Rheinhessen-Odyssee, die aber schließlich ans Ziel führt..

Im Zug mit Werner Schreiner und Ralf Schwambach von drr Deutschen Bahn, Berichte aus der Geschichte des SPNV
In Neustadt wartet Hans Manger vom Behindertenbeirat auf uns. Nach einem Kaffee und einem Gespräch über den barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen in der Region geht es weiter mit dem RegionalExpress über Ludwigshafen Mitte nach Worms. Dort werden wir vom neuen Behindertenbeauftragten der Stadt Wolfgang Schall und Heiner Bögler vom Sozialverband Deutschland auf dem Bahnhof begrüßt.
Der Bahnhof wurde vor 5 Jahren mit Aufzügen ausgestattet. Der Seniorenbeirat und der SoVD haben sich für die Einrichtung einer Behindertentoilette stark gemacht. Was noch fehlt sind automatische Türen zur Bahnhofshalle. Auch hier gibt es Berichte von nicht funktionierenden Aufzügen.

Es geht auch anders herum, die Rampe kann auch in den Zug hinein gelegt werden, um eine Stufe zu überwinden.
Mein Fazit der Bahn Tour ist: mit dem Rheinland-Pfalz Takt 2015, den neuen Fahrzeugen und den barrierefrei ausgebauten Bahnstationen ist ein enormer Fortschritt für barrierefreie Mobilität gelungen. Ich habe wunderbare Landschaften von Rheinhessen und der Weinstraße vom Zug aus entdecken können, was vorher nicht möglich war. Aber es gibt noch Lücken, der Einbau von Aufzügen am Bahnhof Monsheim ist dringend erforderlich. Auch muss die Bahn mehr in Wartung und Service für Ihre Aufzüge investieren. Es nutzt nichts, mehr Aufzüge an den Bahnhöfen zu haben, wenn diese häufig und lange defekt sind. Die Informationen, wie barrierefreies Reisen im Nahverkehr mit der Bahn möglich ist, muss den Menschen mit Behinderungen noch besser angeboten werden. Zum Beispiel dass in jedem Fahrzeug eine Rampe vorhanden ist, die ohne Voranmeldung angelegt werden und welche Ansprechpartner in Notfällen und bei Umplanungen vorhanden sind, das ist häufig noch zu unbekannt. Es lohnt sich, die neuen Verbindungen auszuprobieren. Erst durch Praxis und Routine wird Barrierefreies Reisen möglich und ein Gewinn für Alle.
Mein besonderer Dank gilt Ralf Schwambach von der Deutschen Bahn, der uns während der Fahrt großartig unterstützt hatte zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen sowie Manfred Janß von der Allgemeinen Zeitung und dem SWR für die intensive Begleitung bei der Bahntour.